#3 Christiane Nüsslein-Volhard

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Als der No­bel­preis für Phy­sio­lo­gie oder Medizin 1995 an Chris­tia­ne Nüss­lein-Volhard ging, war das eine kleine Sen­sa­ti­on. Zu dieser Zeit gab es wenige Frauen, die das Stock­hol­mer Komitee aus­zeich­ne­te - das hat sich bis heute nur in lang­sa­mem Tempo ver­än­dert. Die deut­sche Ent­wick­lungs­bio­lo­gin, die seit 1985 als Di­rek­to­rin am Max-Planck-In­sti­tut in Tü­bin­gen ar­bei­te­te, war also nicht nur eine Pio­nie­rin in ihrem Fach­ge­biet, sondern auch durch ihre Rolle als Frau in der Grund­la­gen­for­schung ein Vorbild für die junge Ge­nera­ti­on nach­rü­cken­der Wis­sen­schaft­le­rin­nen. Sehr genau er­in­ner­te sich Nüss­lein-Volhard noch Jahr­zehn­te später, dass sie während ihrer Tü­bin­ger Pro­mo­ti­ons­zeit schwer um Gleich­be­rech­ti­gung und An­er­ken­nung kämpfen musste, weil ihr als Frau weniger zu­ge­traut wurde als den männ­li­chen Kol­le­gen.

Den No­bel­preis erhielt sie für ihre sys­te­ma­ti­sche Gen-Analyse bei der Tau­flie­ge (Dro­so­phi­li­dae), mit deren Hilfe sie zeigen konnte, dass es Par­al­le­len in der Em­bryo­nen­ent­wick­lung zwi­schen In­sek­ten und Wir­bel­tie­ren gibt. Erst­mals gelang es ihr nach Jahr­zehn­ten der Sta­gna­ti­on auf diesem Gebiet, die ge­stalt­bil­den­den Pro­zes­se in Genen und deren Ein­fluss auf die Formung und Färbung kör­per­li­cher Or­ga­nis­men nach­zu­wei­sen. Ihr Le­bens­the­ma blieb die Suche nach den Genen, die für die Va­ria­ti­on der Form­ty­pen im Prozess der Evo­lu­ti­on re­le­vant sind.

Genau davon handelt der hier do­ku­men­tier­te Vortrag, den sie am 30. Juli 2018 in Japan am Okinawa In­sti­tu­te of Science and Tech­no­lo­gy hielt. Es geht um die Grund­fra­gen der mo­der­nen Ent­wick­lungs­bio­lo­gie, um die Funk­ti­on der Gene für die Aus­bil­dung von Mustern, Kom­ple­xi­tät und Viel­falt. Nüss­lein-Volhard lässt in ihrem knapp ein­stün­di­gen Referat (im Film ab 05:00) die Sta­tio­nen ihrer eigenen For­schungs­tä­tig­keit Revue pas­sie­ren, in denen sich die nahezu uni­ver­sel­len Leit­mo­ti­ve der mo­der­nen Gen­bio­lo­gie spie­geln. Die Genetik erweist sich als Dis­zi­plin, die ähn­li­che Fragen wie auch viele Ge­sell­schafts- und Geis­tes­wis­sen­schaf­ten stellt: Fragen nach dem Ver­hält­nis des Teils zum Ganzen, nach den Funk­tio­nen von Normen und Ab­wei­chun­gen, nach der Ent­ste­hung von Di­ver­si­tät, Schön­heit und Va­ria­ti­on. Hinter dem na­tur­wis­sen­schaft­lich-sach­li­chen Duktus Nüss­lein-Vol­hards kommt so die Neu­gier­de als ent­schei­den­de Trieb­fe­der jeder wis­sen­schaft­li­chen Er­kennt­nis zum Vor­schein - und das, was man eine trans­dis­zi­pli­nä­re Suche nach den Ur­sprün­gen unserer Welt nennen kann.

Peter-André Alt

Datum 30.07.2018
Länge 77 min
Titel, Reihe Animal Beauty: Func­tion and Evo­lu­ti­on of Bio­lo­gi­cal Ae­s­the­tics, OIST Pre­si­den­ti­al Lecture Series #2
Sprache Eng­lisch
Video Okinawa In­sti­tu­te of Science and Tech­no­lo­gy (OIST)