#1 Hannah Arendt

"Zur Person", so lautete die im April 1963 begonnene, heute legendäre Fernsehserie, in der Günter Gaus herausragende Vertreterinnen und Vertreter der Zeitgeschichte interviewte. Der Reigen der Gesprächspartner reichte in den ersten Jahren von Konrad Adenauer bis zu Rudi Dutschke, von Helmut Schmidt bis zu Gustaf Gründgens. Am 28. Oktober 1964 war Hannah Arendt zu Gast in Gaus' Reihe. Rückblickend wird der Journalist über die Begegnung mit ihr sagen, sie sei das "beste Gespräch" gewesen, das er je geführt habe.
Der Zeitpunkt für die Sendung war alles andere als zufällig. Wenige Monate zuvor, im Frühjahr 1964, erschien die deutsche Übersetzung von Eichmann in Jerusalem, die Buchausgabe der für den New Yorker verfassten Gerichtsreportagen, die während des Prozesses gegen den SS-Mann Adolf Eichmann 1961 entstanden waren. Das Gespräch mit Gaus dreht sich auch um das Thema des Eichmann-Prozesses, aber es schließt weitaus mehr ein: Es entfaltet sich zu einem intellektuellen Porträt Hannah Arendts, das zahlreiche Facetten zeigt. Seine Sujets sind die Politische Philosophie, die Lust am Verstehen, die Prinzipien eines offenen, prozessualen Denkens; die Frage der jüdischen Identität in Deutschland und der Welt, das Konzept des Zionismus und die Idee bzw. Wirklichkeit des Staates Israel; der Gegensatz zwischen altem und neuem Europa, die Bedeutung der Muttersprache für die wissenschaftliche Arbeit und schließlich die Fähigkeit zur Vergebung als Grundlage humaner Lebensverhältnisse.
In ihrem Eichmann-Buch zeigt Arendt, dass das Böse im Schatten von Auschwitz eine neue Dimension jenseits kausaler Deutungsmuster gewonnen hat. In einer 1965 in New York gehaltenen Ethik-Vorlesung formuliert sie: "Das wirklich Böse ist das, was bei uns sprachloses Entsetzen verursacht, wenn wir nichts anderes mehr sagen können als: Dies hätte nie geschehen dürfen." In solchem Sinne ist Arendts Denken gerade durch seine Unbestechlichkeit ein Zeugnis tiefer Menschlichkeit. Einer Menschlichkeit, die weiß, dass keine Unfehlbarkeit auf Erden existiert und das Wagnis unseres Lebens darin besteht, immer neu ein Grundvertrauen in den jeweils Anderen setzen zu müssen. Notwendigkeit und Zumutung dieses Vertrauens, das zu bewahren angesichts der Schrecken des 20. Jahrhunderts - aber auch unserer Gegenwart - nicht leichtfällt, beleuchtet das Gespräch, das Günter Gaus am 28. Oktober 1964 mit Hannah Arendt geführt hat.
Peter-André Alt
Datum 28.10.1964
Länge 72 min
Titel, Reihe Hannah Arendt im Gespräch mit Günter Gaus, Zur Person
Sprache Deutsch
Video ZDF-Mediathek